Die Telemedizin hat in den letzten 10 Jahren grosse Fortschritte erlebt, und die COVID-19-Pandemie hat ihr einen weiteren grossen Schub gegeben. Dieser Prozess steht in engem Zusammenhang mit der Entwicklung der Gesellschaft auf globaler Ebene: Die jüngeren Generationen kommunizieren und agieren immer häufiger in sozialen Netzwerken im direkten, persönlichen Austausch.
Seit es elektronische Post gibt, wird die Kommunikation mit Fotodokumentation des Patienten zwischen Dermatologen oder behandelnden Ärzten und Dermatologen zur Überweisung von Patienten oder für Zweitmeinungen genutzt. Neu, in den letzten zehn Jahren können Patienten über Smartphone-Anwendungen direkt auf Websites zugreifen, auf denen ein Hautarzt auf der Grundlage eines Fotos eine Diagnose und Therapievorschläge stellt oder empfiehlt, und den behandelnden Hautarzt konsultieren. Bisher gehen die meisten derartigen telemedizinischen Konsultationen zu Lasten des Patienten.
Aber wird diese Entwicklung in der Telemedizin auch Auswirkungen auf die Gesundheitspolitik haben? Wir wollen dies mittels einiger Fragen klären, die wir dem SGDV Präsidenten, Dr. med. Michael Geiges stellen, der auch im Namen der SGDV Kommission für Politik und Kommunikation antwortet.
Carlo Mainetti: Politiker befürworten tendenziell die Telemedizin. Sie gehen davon aus, dass diese weniger Kosten im Gesundheitswesen verursachen würde. Stimmt das oder ist das einfach Wunschdenken?
Michael Geiges: Die Digitalisierung verändert unsere Welt grundlegend und immer schneller. Das ist eine sehr grosse Umwälzung, die uns ganz besonders im hochsensiblen Gesundheitswesen sehr viele und vielschichtige Herausforderungen beschert. Die Kostenfrage bewegt uns ohnehin und mit der Telemedizin bzw. Teledermatologie kommt hier eine neue wichtige Dimension hinzu. Sie führt zu Veränderungen in unserer Arbeitsweise und kann insbesondere für die Patienten direkt günstiger sein, da sie auf den physischen Weg zum Arzt / zur Ärztin verzichten können. Probleme können auch rascher beurteilt werden, was sich durchaus auch positiv auf den Verlauf einer möglichen Erkrankung und damit auch auf die Kosten auswirken kann. Bei einfachen Befunden und Fragestellungen fällt auch die sonst begleitende Infrastruktur einer Arztpraxis mit Personal teilweise weg. Grundsätzlich gilt aber: Die meisten dermatologischen Beurteilungen sind nicht kostengünstiger, wenn sie digital und nicht physisch erfolgen, da sie das gleiche Hintergrundwissen voraussetzen, ebenso viel Zeit in Anspruch nehmen und auch mit zahlreichen Einschränkungen verbunden sind.
Sollte die telemedizinische Triage von der Krankenkasse bezahlt werden oder sollte sie weiterhin zu Lasten des Patienten gehen?
Eine telemedizinische Konsultation, welche die WZW-Kriterien (Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit) erfüllt und von einer Ärztin / einem Arzt, welche die nötigen Voraussetzungen (Berufszulassung, Haftpflichtversicherung etc.) mit sich bringt, geleistet wird, sollte von der Versicherung übernommen werden, und zwar zum gleichen Tarif, wie eine vergleichbare physische Konsultation.
Du hast mich aber gezielt nach der Vergütung einer telemedizinischen Triage gefragt. Das ist eine schwierige Frage. Wenn es sich um eine telemedizinische Triage mit allenfalls auch ersten Therapieempfehlungen im Vorfeld einer medizinischen Konsultation handelt, ähnlich einer im weitesten Sinn «telemedizinischen» Triage per «Telefon» in der Praxis oder durch Krankenversicherer in Gatekeeper-Modellen, dann sollte diese auch weiterhin nicht über die Versicherung abgegolten werden. Ansonsten käme es zur Kostensteigerung wegen einer Mengenausweitung.
Hingegen ist eine moderne teledermatologische Triage z.B. mit Hilfe einer App durch eine Ärztin / einen Arzt, so wie dies bereits jetzt über spezialisierte Plattformen und manchmal in Zusammenarbeit mit z.B. Apotheken erfolgt, mit zusätzlichen Kosten und einem ärztlichen Aufwand verbunden. Bis wie weit dies eine Selbstzahlerleistung sein soll, gilt es noch besser abzugrenzen. Denn die Definition der Grenze zwischen einer teledermatologischen Triage und einer teledermatologischen Konsultation verläuft derzeit in einer Grauzone.
Wie gut ist durchschnittlich die Qualität der Fotos, die von den Patienten im Rahmen der telemedizinischen Konsultation übermittelt werden?
An der Jahrestagung der SGDV dieses Jahr in Lausanne hielt Frau Prof. Paola Pasquali einen hervorragenden Vortrag zum Thema «Medical Photograpy in Dermatology». Dieser bestätigte meine Alltagserfahrung. Die Qualität der meisten Fotos ist eher ungenügend. Nicht nur die Patientinnen und Patienten, auch nichtdermatologische Fachpersonen versuchen oft, den Befund möglichst aus der Nähe festzuhalten. Das führt insbesondere bei Bildern, welche mit einem Smartphone gemacht werden (also fast allen Fotos) oft dazu, dass sich der Fokus auf den Hintergrund scharf stellt. Manchmal kann man besser sehen, ob der Fussboden verschmutzt ist, als ob eine Läsion scharf oder unscharf begrenzt oder eine glatte oder raue Oberfläche hat. Technologisch sind auch in diesem Bereich Fortschritte zu erwarten, z.B. mit automatisierten Analysen der Fotoqualität durch eine teledermatologische App. Es werden auch nicht immer jene Läsionen fotografiert, welche für uns die wichtigen sind. Insbesondere Sekundäreffloreszenzen wie Schuppen und Krusten auf älteren Läsionen sind für die Patienten besonders beeindruckend, während für uns eher die diskreten Primäreffloreszenzen einer kleinen beginnenden Läsion relevant sind. Hier sind gute Instruktionen nötig und manchmal müssen weitere Fotos angefragt werden. Zudem fehlt mir das Dermatoskop, welches ich unterdessen bei jeder Hautläsion einsetze – nicht nur wenn es um die Diagnose einer seborrhoischen Keratose geht, sondern auch bei der Beurteilung entzündlicher Dermatosen. Die wichtige Palpation des Befundes fällt ganz weg.
Bilder sind zentral für unsere Beurteilung. Die Bedeutung einzelner Bilder wird aber von Patienten und Zuweisern meiner Meinung nach tendenziell überbewertet. Der übliche effiziente, typische Ablauf in einer zeitgleichen Konsultation – kurze Anamnese, kurzer Blick auf den Hauptbefund, erweiterte gezielte Anamnese, ergänzende Befunde bzw. vollständiger Hautstatus – fällt bei einer zeitversetzen teledermatologischen Konsultation weg, was die Möglichkeiten der sonst durchaus auch mit Vorteilen verbundenen zeitversetzten Teledermatologie natürlich einschränkt.
Kann in Zukunft die telemedizinische Konsultation mindestens zum Teil die Konsultation mit einer Untersuchung ersetzen?
Ja, auf alle Fälle – aber mit zahlreichen Einschränkungen, von denen ich einige bereits erwähnt habe. Die Basis für eine teledermatologische Konsultation müssen die WZW-Kriterien bilden. Ob diese eingehalten werden können, hängt sowohl von der Art der teledermatologischen Konsultation als auch von der Art der Fragestellung ab. Es gibt, wie schon erwähnt, die zeitgleiche Teledermatologie, z.B. via Videokonferenz, oder die zeitversetzte Konsultation via E-Mail oder App. Zudem müssen wir zwischen der primären Teledermatologie zwischen Patient und Ärztin / Arzt und der sekundären Teledermatologie zwischen Ärztinnen / Ärzten unterscheiden. Dann ist es ein Unterschied, ob es sich um eine Erstbeurteilung oder um eine Verlaufskontrolle handelt. Je nach Patient und Situation sind für die Vertrauensbildung und die Compliance die Faktoren der direkten Interaktion (Gesprächston, Mimik, Gestik) besonders wichtig und bei einer telemedizinischen Interaktion sehr eingeschränkt.
Es gibt Situationen und Fragestellungen, bei denen eine teledermatologische Konsultation der physischen ebenbürtig ist, wie auch in Studien oder in einer ersten Leitlinie der DDG/ÖGDV/SGDV festgehalten wurde. Dazu gehören meiner Meinung nach z.B. unkomplizierte Verlaufskontrollen postoperativ oder bei der Behandlung von Wunden oder Verlaufskontrollen bei entzündlichen Dermatosen.
Welche Probleme ergeben sich aus der Nutzung von Telemedizin-Portalen durch Ärzte, die zum Teil im Ausland leben und in der Schweiz nicht zur Ausübung des Arztberufs berechtigt sind?
Neben den medizinischen und technischen Problemen und Einschränkungen sprichst Du hier die mit der Telemedizin verbundenen juristischen und volkswirtschaftlichen Fragen an – das ist ein weiteres und sehr schwieriges Problemfeld. Bereits wenn es um die Zulassung für eine physische Berufstätigkeit geht, ist sich die Ärzteschaft uneinig – und so ist es auch die Politik. Wir sehen das derzeit in der Frage der kantonalen Umsetzung des Zulassungsstopps. Statt sich in erster Linie an Qualitätskriterien und «reallife» Daten der direkt Betroffenen zu orientieren, werden teilweise statistische Daten falsch ausgelegt, es dominieren kurzfristig gewinnorientierte oder kostenbremsende Massnahmen, hinzu kommen verwaltungstechnische oder gar parteipolitische Überlegungen.
Die Telemedizin bringt nun zahlreiche neue Faktoren in diese Diskussion: Sie ermöglicht natürlich auch kostengünstige Konsultationen durch Ärzte / Ärztinnen  im Ausland. Doch wie lässt sich die Qualität gewährleisten? Wie steht es da mit dem Datenschutz? Wie mit der angeblich drohenden Mengenausweitung, wenn Medizin ins Ausland verlagert wird, während im Inland die Zulassungen beschränkt werden? Wie werden die für eine effiziente und effektive Behandlung nötigen Kenntnisse der Sprache und des Umfeldes der Patienten und der Strukturen und Möglichkeiten unseres Gesundheitswesens berücksichtigt?
Es sind also sehr viele Fragen offen und mit dem rasch wachsenden Einfluss von künstlicher Intelligenz kommen noch zahlreiche weitere dazu, die wir dringend und proaktiv aufarbeiten, beantworten und dann mit den zuständigen Behörden und der Politik aufnehmen müssen. Nur so wird es uns gelingen, allfällige neue, nicht sachdienliche Einschränkungen und Regulierungen zu verhindern. Die SGDV misst dieser Problemstellung hohe Priorität zu. Wir arbeiten international vernetzt in der Arbeitsgruppe Teledermatologie, der Kommission Politik und Kommunikation und mit den Tarifdelegierten daran. Es besteht ein enger Austausch zwischen SGDV, FMCH und FMH. Wir entwickeln Leitlinien und teilen Positionen und konsolidierte Informationen in direkten Gesprächen mit Politikerinnen und Politikern. Derzeit finalisieren wir ein Positionspapier dazu, weitere werden folgen. Es ist für uns alle wichtig, bei diesen Themen den Anschluss nicht zu verpassen. Die SGDV hält ihre Mitglieder auch über die regelmässigen Newsletter auf dem Laufenden.
Dieses Thema, lieber Michael, ist eine grosse Herausforderung, da sich die Digitalisierung so schnell entwickelt.
Ich habe grosses Vertrauen in die Arbeit meiner Kolleginnen und Kollegen in der SGDV Kommission für Politik und Kommunikation und in den SGDV-Präsidenten, dass sie alles tun werden, um eine «liberale» Dermatologie, wie wir sie jetzt erleben, in unserem Land zu erhalten.
Fall wird weiterverfolgt