Blick auf die Zukunft des ambulanten Tarifs für die Dermatologie
Stellungnahme der SGDV zu den vorgeschlagenen ambulanten Pauschalen der sts AG.
In diesem Artikel interviewen wir die Tarifverantwortliche der SGDV, Dr. med. Bettina Schlagenhauff, die uns ihre Eindrücke über die Zukunft der ambulanten Tarifstruktur in der Schweiz und die Stellungnahme der SGDV zu den vorgeschlagenen ambulanten Pauschalen der sts SA (solutions tarifaires suisses SA) mitteilen wird.
Carlo Mainetti:
Hältst du die Frist bis Dezember 2023 für die Vorlage des neuen ambulanten Tarifs, der wahrscheinlich auf der TARDOC-Struktur basiert und in den Pauschalen enthalten sein werden, nicht für etwas optimistisch, wenn man die lange Vorlaufzeit für eine Einigung zwischen den Partnern (Ärzte, Versicherungen und Spitäler) kennt?
Bettina Schlagenhauff:
Die nunmehr fünfte Version des Einzelleistungstarifs TARDOC (1.3.1)ist für die erneute Einreichung beim Bundesrat (BR) bereit. Die Auflagen des BR sind erfüllt, und er ist materiell genehmigungsfähig – mit Ausnahme der Kostenneutralität, wozu noch Anpassungen gemacht wurden. Bestehende weitere Mängel können (und müssen) auch nach Inkraftsetzung sukzessive behoben werden. Dafür ist dann die neu gegründete und endlich gemeinsame Partnerorganisation OAAT AG, bestehend aus FMH, H+, curafutura, santésuisse und der MTK UVG, zuständig.
Ziel ist es, TARDOC 1.3.1 Ende des Jahres einzureichen, wenn möglich als kohärentes Tarifsystem zusammen mit dem Pauschalentarif 1.0. Es besteht jedoch keine direkte zeitliche Abhängigkeit der Einreichung beider Tarifprojekte. Der Entscheid zur Einreichung zur gemeinsamen Genehmigung wird durch die Delegierten der FMH im Herbst 2023 erfolgen. Ob es bis dahin einen genehmigungsfähigen Pauschalentarif geben wird, ist noch unklar.
Zum heutigen Zeitpunkt ist lediglich bekannt, dass die von der sts SA vorgeschlagene, aktuelle Pauschalen-Tarifversion 0.3 seitens der Ärzteschaft nicht genehmigungsfähig ist. Dies haben die im Frühjahr 2023 in Arbeitsgruppen der «Taskforce ambulante Pauschalen» erstellten Vernehmlassungsantworten der FMH und der Fachgesellschaften deutlich gezeigt. Auch die SGDV hat in diesem Zuge eine ausführliche Stellungnahme an die sts SA und in Kopie an das BAG eingereicht. Die sts SA arbeitet aktuell an der Version 1.0., welche per Ende Juni 2023 in Aussicht gestellt und dann den Tarifpartnern zur Beurteilung vorgelegt werden soll.
Problematisch ist, dass die Erarbeitung der Version 1.0, wie schon zuvor der Version 0.3, von sts SA allein (H+ und santésuisse),ohne Mitwirkung der FMH und der meisten Fachgesellschaften erfolgt. Frühestens Anfang 2024 wird mit der OAAT AG eine gemeinsame Weiterentwicklung beider ambulanter Tarifsysteme möglich sein.
Glaubst du, dass der BR, falls dieser Zeitplan nicht eingehalten wird, ähnlich wie im Jahr 2017 eingreifen und den aktuellen ambulanten Tarif nach unten korrigieren wird?
Darüber kann aktuell nur spekuliert werden. Der BR wäre über eine erneute Verschiebung sicher nicht erfreut. Je nachdem, ob (oder ob nicht) der eingeschlagene Weg der Tarifpartner in eine baldige, für alle akzeptable Lösung zielt, könnte der BR für die endgültige Fertigstellung erneut einen Aufschub geben. Kann keine Einigung gefunden werden und verhärten sich die Fronten, ist ein Eingreifen in die bestehende TARMED Version 01.09.00_BR wahrscheinlich.
Es ist für alle Partner das Ziel, dass TARDOC genehmigt wird und 2025 eingeführt werden kann.
Findest du die vorgeschlagenen ambulanten Pauschalen in der Tarifversion 0.3 für die Dermatologie adäquat? Wenn nein, wo liegen ihre Schwachpunkte?
Grundsätzlich kann man sagen, dass Pauschalen dort sinnvoll sind, wo sie die Tarifstruktur vereinfachen, die Transparenz erhöhen sowie administrative Erleichterungen für die Leistungserbringer und auch die Kostenträger bringen. Als Ergänzung zum Einzelleistungstarif sind Pauschalen für bestimmte Leistungen durchaus denkbar, sofern diese standardisiert, homogen, klar abgrenzbar und sachgerecht sind. Leider erfüllen die vorgeschlagenen Pauschalen diese Voraussetzungen für die dermatologischen Positionen u.E. nicht, was die SGDV in der Vernehmlassungsantwort zur Tarifversion 0.3 der ambulanten-Pauschalen klar dargelegt hat.
Die Pauschalen weisen jedoch auch grundsätzliche Defizite auf: Allein die für die Erstellung und Berechnung der Pauschalen zugrunde liegende Daten sind ausnahmslos Spital-getriggert – also nicht repräsentativ für die ambulante Tätigkeit ausserhalb des Spitals. Zudem sind für einige Pauschalen nur wenige Fallzahlen hinterlegt. Die meisten Pauschalen bilden somit Behandlungen, die in der Praxis durchgeführt werden, nicht adäquat ab. Bei vielen Pauschalen mangelt es an Transparenz bezüglich des Leistungsumfangs und auch des Kostendachs. Die meisten der für uns relevanten Pauschalen beziehen sich auf komplexe Prozesse mit hoher Varianz bzgl. Zeitbedarf, Schwierigkeit, Patientengut, Materialaufwand etc., was durch Über- und Unterbewertungder abgebildeten Prozeduren die Gefahr von Fehlanreizen mit sich bringt. Curios ist auch, dass bei Exzisionen die Histopathologie mit allen eventuellen erforderlichen Zusatzanalysen in der Pauschale inbegriffen ist, ohne dass man weiss, wie dies praktisch umsetzbar sein soll. Zuletzt sei noch erwähnt: Die Basis für die Berechnung der aktuellen Pauschalen ist der veraltete TARMED.
Last but not least ist der Hauptnachteil des Tarifkonzeptes die fehlende Kombinierbarkeit der Pauschalen untereinander sowie mit TARDOC-Einzelleistungen. Beispielsweise wären die Exzision eines Basalzellkarzinoms, zusätzlich eines suspekten melanozytären Nävus und eine kryochirurgische Behandlung von aktinischen Keratosen in gleicher Sitzung bei Vorliegen von Pauschalen für eine oder mehrere dieser Leistungen nicht möglich.
Dies hätte inakzeptable Konsequenzen: Es wären Mehrfachkonsultationen mit höherem Zeitaufwand für die Patienten, potenziell höheren Behandlungskosten und - im ungünstigsten Fall - Verzögerungen von Diagnosestellung bzw. Therapie zu befürchten. Diese Nachteile würden eine effiziente, qualitativ hochstehende und kostengünstige ambulante dermatologische Versorgung verunmöglichen. Im Rahmen der zukünftigen Weiterentwicklung ambulanter Pauschalen müssen diese Aspekte unbedingt berücksichtigt werden.
Danke Bettina für deine ausführlichen Erklärungen!
Fall wird weiterverfolgt …