RareSkinCH und Kosek, oder: warum seltene Krankheiten an Gewicht gewinnen
Seltene Krankheiten wurden von Politik, Finanz und Industrie lange vernachlässigt, weil therapeutische Ansätze kein Potenzial zum Blockbuster haben und deren Akkreditation sehr aufwändig ist. Daher und aufgrund des häufigen Mangels an wirksamen Therapien und kompetenter Betreuung sind seltene Krankheiten in den letzten 15 Jahren vielerorts - auch in der Schweiz - auf die politische Agenda gerückt. Auf Antrag von Nationalrätin Ruth Humbel und Beschluss des Bundesrat 2014 entstand die Nationale Koordination Seltene Krankheiten «KOSEK» der UniMedSuisse, welche sich zuerst in den Universitätsspitälern zentral organisiert hat.
Nationales Konzept Seltene Krankheiten
Das Nationale Konzept Seltene Krankheiten beinhaltet 19 Massnahmen, mit welchen es folgende Ziele erreichen will:
Zugang zur Diagnose und ihrer Vergütung
Zugang zu Therapien und ihrer Vergütung
Unterstützung der Patientinnen und Patienten und ihrer Ressourcen
Beteiligung der Schweiz an der (internationalen) Forschung
sozioprofessionelle und administrative Unterstützung
klinische Dokumentation und Ausbildung
Sicherstellung der Nachhaltigkeit des Konzepts Seltene Krankheiten.
RareSkinCH - die neue Kommission
Mittlerweile hat sich die Kosek an die Fachgesellschaften und die Patientenorganisationen gewendet um sich breiter abzustützen und einen Akkreditationsprozess einzuführen. Daher hat die SGDV vor zwei Jahren die neue RareSkinCH Kommission mit Ausschuss geschaffen, geleitet von Lisa Weibel und Martin Theiler-Pang und administrativ vom Generalsekretariat unterstützt. Zusammen mit fünf universitären Referenzzentren und sechs assoziierten Zentren haben wir zu Beginn 2023 das Netzwerkprojekt RareSkinCH bei der Kosek eingereicht. Letztendlich geht es hier unsererseits auch um längerfristige standespolitische Interessen, um unsere Patienten und Patientinnen auch in Zukunft kompetent betreuen zu können.
Seltene Krankheiten sindwichtiger denn je
Seltene Krankheiten haben aber auch unabhängig von Kosek in den vergangenen Jahren aus mehreren Gründe an Gewicht gewonnen:
Erstens haben seltene Krankheiten, mono- wie polygenetische, zur Identifizierung zentraler Faktoren und Wege in der Hautbiologie geführt und daher zu neuen Therapieansätzen beigetragen. So führte die molekulare Analyse der allergischen Enzephalopathie und ihre anti-Interleukin(IL)-4 Behandlung schliesslich zur therapeutischen Erfolgsgeschichte von Dupilumab bei atopischer Dermatitis und Asthma, mit welcher die IL-4-Rezeptor-alpha-Untereinheit und damit IL-4 und IL-13 blockiert werden. Gleichsam ergab die molekulare Analyse der familiären primären lokalisierten kutanen Amyloidose wichtige Erkenntnissen über die Rolle des Oncostatin Rezeptors und dadurch von IL-31 in der Pathogenese des Pruritus, was schliesslich in seiner Behandlung mit dem IL-31 Rezeptorblocker Nemolizumab resultierte. Solch neue innovativen Behandlungen können ihrerseits wieder für die Therapie seltener Krankheiten eingesetzt werden. So kommt nun zur Behandlung des rebellischen Juckreizes Nemolizumab bei Prurigo nodularis, oder Dupilumab bei der Epidermolysis bullosa pruriginosa, welche durch rezessive Kollagen-7 Mutationen verursacht wird, zum Einsatz. Beide Ansätze führen zu einer enormen Verbesserung des Hautzustandes und der Lebensqualität.
Zweitens wird diese Entwicklung noch durch das Zerfallen von Diagnosen wie die Psoriasis in einzelne und somit seltenere pathogenetisch diverse Krankheiten verstärkt. Dies beobachten wir besonders in der aktuellen personalisierten Präzisionsmedizin. Erythrodermatische, pustulöse oder vulgäre Psoriasis (en plaques) besitzen mit Interferon-a, IL-36 und IL-23 respektive, verschiedene immunpathogenetische Muster und verlangen daher unterschiedliche Therapieansätze. Ebenso trugen genetische Studien, wie die Identifikation von CARD14 Mutationen bei der seltenen familiären Form der Pityriasis rubra pilaris oder von IL-36RN Varianten bei DITRA Syndrom und pustulöser Psoriasis zur Entwicklung des anti-IL-36 Rezeptor-Antikörpers Spesolimab bei. Handkehrum kann dieser Antikörper bei therapieresistenten Formen der akuten generalisierten exanthematischen Pustulose (AGEP) eingesetzt werden.
Drittens haben Fortschritte in unserem Verständnis der Ätiopathogenese seltener Krankheiten zu dramatischen Veränderungen in der Behandlung dieser Erkrankungen geführt, auch wegen der eleganten CRISPR Technologie , deren erste FDA geprüfte Produkte nun auf dem Markt erhältlich sind, welche wir im Journal Club besprechen. Derweil sind diese Verfahren enorm teuer und müssen mit invasiven Verfahren, sprich Transfusion hämatopoetischer Stammzellen unter Immunsuppression, erkauft werden. Ebenso epochemachend ist Beremagen, welches das fehlende Protein mittels genetisch modifizierten Herpesviren zur topischen Behandlung der dystrophen Epidermolysis bullosa transportiert. Genodermatosen, die durch Nicht-Sense-Mutationen verursacht werden, können mit einfacheren Verfahren wie Read-Through-induzierenden Aminoglykosiden behandelt werden, so die Hailey-Hailey-Krankheit, palmoplantarer Keratodermie, Haarerkrankungen. Schliesslich können Genodermatosen, welche durch gain-of-function-Varianten assoziiert sind, durch Blockade aktivierter Signalwege behandelt werden. So können invalidisierende Keratosen wie z.B. beim äusserst seltenen Olmsted-Syndrom durch Hemmung der Signalübertragung via Sirolimus oder Erlotinib angegangen werden. Interessant sind hier auch indirekt-wirkende Anti-Sense Technologien, wie sie bei der Behandlung des hereditären Angiooedems eingesetzt werden, um die erhöhten Bradykininwerte via Kallikrein zu senken.
RareSkin übernimmt wichtige Funktion
Kurzum, RareSkinCH wird in Zukunft in der SGDV eine wichtige Funktion übernehmen. Wesentliche Krankheitsgruppen sind dabei die Ichthyosen, palmoplantare Keratoderma, die Epidermolysis bullosa, Pigmentanomalien wie der Albinismus, Porphyrien, Gefässanomalien, autoinflammatorische und autoimmune Krankheiten, seltene Tumorerkrankungen wie die Lymphome, das Merkelzellkarzinom und Sarkome oder auch seltene Arzneimittelreaktion wie das Lyell-Syndrom.
Unser Netzwerk soll im Bereich dieser seltenen Hauterkrankungen die Kollaboration zwischen Spitälern, Healthcare Professionals, und Patientenorganisationen fördern. Ebenso soll es umfassende Behandlung von PatientInnen mit früher und korrekter Diagnose ermöglichen, den Zugang zu erforderlichen Abklärungen, medizinische Behandlung an erfahrenen Zentren und den Zugang zu neuen Behandlungen, Rehabilitation und psychosozialer Unterstützung gewähren. Schliesslich sollen die Forschungsaktivitäten im Bereich der klinischen und Grundlagen-Forschung sowie die Kollaboration mit internationalen Netzwerken für seltene Erkrankungen vernetzt und unterstützt werden. Es gibt vieles zu tun, packen wir's an!
Author
Prof. Dr. Daniel Hohl
Editor Dermatologica Helvetica