Am 10. November 2022 wählte die Generalversammlung der SGDV in Bern Dr. med. Michael Lukas Geiges zum President-elect.
Dr. med. Geiges absolvierte seine Ausbildung in Dermatologie und Venerologie an der Universitätsklinik Zürich, wo er auch die Rolle des Oberarztes und Leiters der Poliklinik übernahm. Im Jahr 2010 eröffnete er seine Praxis in Kloten, daneben ist er weiterhin als Oberarzt in Teilzeit am Universitätsspital Zürich und als Dozent an der Universität Zürich tätig. Seine Begeisterung für die Geschichte der Dermatologie, die ihm zahlreiche Anerkennungen auf nationaler und internationaler Ebene eingebracht hat, zieht sich wie ein roter Faden durch seine Karriere. Seit 1999 ist er Direktor des Moulagenmuseums des Universitätsspitals und der Universität Zürich.
Michael Geiges ist Mitglied mehrerer nationaler und europäischer Gesellschaften. Er ist Mitglied des Vorstands der Zürcher Dermatologen Gesellschaft (ZDG), wobei er von 2014 bis 2019 die Rolle des Präsidenten übernahm. In dieser Zeit habe ich ihn gut kennengelernt. Ich habe seine Kultur, sein Feingefühl und seine Sensibilität immer geschätzt. Ich habe seine Kandidatur unterstützt, weil er die Fähigkeit besitzt, zu vereinen, anstatt zu spalten. Eine Eigenschaft, die der SGDV bei künftigen Herausforderungen nützlich sein wird. Durch dieses Interview möchten wir herausfinden, welche Prioritäten unser zukünftiger Präsident setzen wird.
Carlo Mainetti: Deiner Meinung nach, Michael, was sind die grössten Herausforderungen der nächsten Jahre in der Berufspolitik?
Michael Geiges: Die Gesundheitspolitik ist schon lange geprägt von der Diskussion über die Kosten und den Anspruch, allen Bürgern eine optimale medizinische Behandlung zu ermöglichen. Gesundheit soll kein Luxusgut sein und wir möchten keine Zweiklassenmedizin. Die letzte grosse Veränderung in unserem Gesundheitswesen war die Einführung der obligatorischen Krankenversicherung mit dem neuen KVG im Jahr 1994. Nun droht mit der Umsetzung der Kostendämpfungspakete des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) wieder eine grundsätzliche Anpassung des Gesundheitssystems mit mindestens so eingreifenden Konsequenzen. Dabei steht die Kostendeckelung, das Globalbudget, bei fast allen Massnahmen im Raum. Damit verbunden sind Modelle der Pauschalisierung von Leistungen und des Ausbaus von Netzwerken in denen die unternehmerische aber auch die medizinisch-fachliche Freiheit der ÄrztInnen deutlich eingeschränkt werden soll. Fachfremde Spezialisten wollen die ärztliche Tätigkeit kontrollieren und steuern, leider fehlt ihnen das dafür nötige Wissen aus dem medizinischen Alltag. Diese Lücke soll durch Daten, welche die ÄrztInnen abliefern, kompensiert werden. Ein grosser Teil unserer Arbeit ist aber nicht einfach quanti- und qualifizierbar. Zudem entsteht ein administrativer Teufelskreis, welcher sich direkt wieder negativ auf die Qualität und die Kosten im Gesundheitswesen auswirkt. Um diese Entwicklung zu bremsen, müssen die ÄrztInnen selbst das Ruder in die Hand nehmen und proaktiv die Entwicklung gestalten. Bereits bestehende Regeln im Nachhinein zu ändern ist entweder unmöglich oder enorm viel aufwändiger, als diese vorher selbst festzulegen. In der Politik, wo uns die Ausbildung und Erfahrung fehlt, sind wir auf Profis und auf die Zusammenarbeit mit anderen «Stakeholdern» angewiesen und müssen auch bereit sein die nötige Zeit und das nötige Geld zu investieren. Die SGDV hat hier eine Vorreiterrolle eingenommen und zusammen mit der FMH und FMCH auch schon vieles erreicht. Es sollte aber klar sein, dass dies keine Übergangsphase, sondern erst der Anfang eines wirksamen standespolitischen Engagements ist.
Die SGDV hat immer die Gemeinschaft von Spital- und niedergelassenen DermatologInnen unter einem Dach unterstützt. Was ist dein Rezept, um sie weiter zu festigen?
Zurzeit spüre ich eine sehr gute Atmosphäre in der SGDV und ich habe den Eindruck, dass den niedergelassenen KollegInnen und den in den Spitälern Angestellten völlig klar ist, dass die Dermatologie nur dank einer engen Zusammenarbeit funktioniert. Mir ist wichtig, dass noch klarer wird, dass die SGDV ein Synonym für «die DermatologInnen der Schweiz» ist und dass wirklich alle dermatologisch tätigen ÄrztInnen dazu gehören möchten. Eine Gesellschaft ist kein Privatunternehmen: Die Geschäftsleitung eines Privatunternehmens will Gewinn machen und stellt dafür Person an, welche Pflichten zu erfüllen hat – «top down». Der Vorstand einer Gesellschaft dagegen vertritt die Interessen der Mitglieder und kann dies aber nur, wenn sich die Mitglieder einbringen – also «buttom up». Gerade wenn sich eine Person oder ein Bereich durch die SGDV schlecht vertreten fühlt, dann besteht der erste Schritt darin, der SGDV beizutreten, an Veranstaltungen der SGDV teilzunehmen oder sogar Aufgaben für den oder im Vorstand zu übernehmen. So kann jeder dazu beitragen, dass die SGDV seine persönlichen Interessen in Zukunft besser vertritt. Wie überall ist auch bei dieser Zusammenarbeit die Kommunikation entscheidend, am besten auf der Basis von freundschaftlichen Beziehungen. Diese können wir nur knüpfen, wenn wir uns begegnen: an gemeinsamen Fortbildungen, bei festlichen Anlässen und anderen Treffen. Verstärkend wirken auch gemeinsame Projekte wie «Young Dermatologists», gemeinsame wissenschaftliche Projekte wie Register und die Stärkung und bessere Einbindung der Regionalgesellschaften.
Für jede Gesellschaft sind die jungen Kollegen(-innen) die Gegenwart und die Zukunft. An der letzten Jahresversammlung trafen sich die Swiss Young Dermatologists für einen Abend. Was ist deine Meinung?
Vor kurzem hatte ich doch tatsächlich noch das Gefühl zu den Jüngern zu gehören und etwas überrascht stelle ich fest, dass ich definitiv einer der Älteren bin. Und ich stelle auch fest, dass fast alles, für was ich mich engagiere, mich persönlich gar nicht mehr betreffen wird. Definitiv: die jüngeren KollegInnen sind die Gegenwart und die Zukunft! Und ich wünsche mir, dass noch mehr junge KollegInnen die Gelegenheit nutzen und die SGDV und damit die Dermatologie in der Schweiz aktiv mitgestalten helfen. Ich persönlich habe immer schon nicht nur in der Dermatologie, sondern im Privaten genauso wie in der Medizingeschichte und Museumsarbeit den Austausch mit älteren KollegInnen sehr geschätzt und von ihrem Wissen und der immer sehr grossen Hilfsbereitschaft enorm profitiert. Dazu braucht es den richtigen Respekt: Respekt im Sinn von Anerkennung vor dem breiteren Wissen und vor der Lebenserfahrung, aber nicht Respekt im Sinn von Berührungsängsten und der Angst, Kritik und eigene Ansichten zu formulieren. Und schon wieder sind wir bei der Kommunikation: wir müssen Gelegenheiten schaffen und nutzen, um sich gegenseitig kennenzulernen und Freundschaften pflegen zu können.
Die Qualität der ärztlichen Leistung leidet unter der zunehmenden Bürokratie. Gibt es Lösungen?
Ich habe hier eine sehr vereinfachte Vorstellung: Der Staat und die Krankenkassen und z.B. wegen DRGs auch die Spitäler, stellen immer mehr administratives Personal ein, – deren Aufgabe es ist, unter anderem das Gesundheitswesen weiterzuentwickeln. Da jeder nur mit den Mitteln arbeiten kann, welche er besitzt, wird logischerweise mit administrativen Ansätzen gearbeitet. Diese Lösungen benötigen mehr administratives Personal etc... Wie schon erwähnt, sollten wir ÄrztInnen diesen Teufelskreis durchbrechen und proaktiv die Dermatologie selbst gestalten. Leider wird dies oft falsch verstanden: proaktiv hat nichts mit «vorauseilendem Gehorsam» zu tun. Und es ist auch auf Anhieb nicht immer ersichtlich, warum ein selbst verursachter bürokratischer Aufwand schliesslich die Lösung sein soll, um einen noch grösseren bürokratischen Aufwand zu verhindern. Ganz konkret denke ich hier z.B. an die Arbeit zur Qualitätssicherung – deren Notwendigkeit sowohl medizinisch als auch politisch alle Seiten als notwendig anerkennen. Wenn wir hier proaktiv eine eigene Zertifizierung, ein eigenes Qualitätslabel, eigene Qualitätssicherungstools erarbeiten und einführen, dann können wir sicherstellen, dass sich der bürokratische Aufwand und die individuellen Kosten auf ein Minimum beschränken und der Inhalt tatsächlich praxisrelevant ist. Warten wir, bis uns dies von aussen von «Bürogummis» vorgeschrieben wird, dann wird dies aufwändig, teuer und inhaltlich zumindest teilweise unsinnig. Genügend Beispiele aus der Vergangenheit kennen wir alle! Und wir wissen auch, dass wir diese im Nachhinein nicht mehr ändern können.
Dann ist mir hier noch ein zweiter Aspekt sehr wichtig: wir sind durch unser Studium und durch unsere Arbeit mit den Patienten trainiert, auch kleinste Details ernst zu nehmen. Doch im Umgang mit den Behörden wäre eine etwas pragmatischere Prioritätensetzung angebracht. «Gelassenheit aber nicht Gleichgültigkeit» wäre hier das richtige Motto. Viel zu oft werden angedrohte sinnlose administrative Vorschriften «sicherheitshalber» schon aufwändig umgesetzt, anstatt zuerst mit Hilfe der Fachgesellschaften (Regionalgesellschaften, SGDV, FMH) zu klären, ob diese tatsächlich nötig sind und was geschehen würde, wenn man sie nicht einhalten würde. Wir sollten diese Zeit besser in die Betreuung unserer Patienten und in das Studium und in die Umsetzung der neusten dermatologischen Leitlinien investieren und dort, wo uns keine reale Gefahr droht, auch einmal zuwarten.
Welche Erfahrungen als ehemaliger Präsident des ZDG kannst du für deine neue Position nutzen?
Meine wichtigste Erfahrung war, dass es damals gelungen ist, die eher kleine ZDG zu einer grossen Gesellschaft zu machen, in der alle Altersgruppen vertreten waren. Der Schlüssel dazu war – wieder einmal – die (motivierende) Kommunikation. Ich habe dazu eine klare Meinung: Es ist oft nicht die Schuld der Mitglieder, wenn sie nicht wissen, was eine Gesellschaft macht oder wenn sie den Ernst einer Lage nicht richtig einschätzen, sondern es liegt auch an der Kommunikation der Verantwortlichen, welche die falschen Kanäle oder die falschen Mittel gewählt haben. Damals konnte ich mit regelmässigen kurzen, prägnanten und wiederholten Informationen das Interesse an der ZDG wecken und vermitteln, warum es eine Standesorganisation braucht, was diese macht und dass sie nur funktioniert, wenn alle mitmachen. Das Schwierigste ist die Tatsache, dass jede Gesellschaft aus ganz unterschiedlichen Menschen besteht und auch nur dank dieser Mischung funktioniert. Eine Gesellschaft aus reinen Altruisten würde wohl innert Kürze verarmen und verhungern. Wenn aber jeder nur noch für sich schauen würde, dann gäbe es bald keine Gesellschaft mehr. Die grosse Herausforderung ist es, ein Gleichgewicht basierend auf einer respektvollen und ehrlichen Diskussionskultur zu finden aber auch klare Grenzen zu definieren.
Diese schwierige Herausforderung lässt sich nur in einem Team meistern. Gerade anlässlich des Jahreskongresses der SGDV in Bern habe ich ein grosses gegenseitiges Wohlwollen unter den Mitgliedern und grosse gegenseitige Hilfsbereitschaft und Respekt im Vorstand erlebt. Dies waren auch die Voraussetzungen, dass ich mich bereit erklärt habe, die verantwortungsvolle Aufgabe des SGDV-Präsidenten ab Herbst 2023 zu übernehmen. Und ich freue mich sehr darauf!