Die Weiterbildung zur Fachärztin oder zum Facharzt für Dermatologie und Venerologie in der Schweiz – Zeit für einen Umbruch?
Eine Weiterbildungsstelle in der Dermatologie und Venerologie zu erhalten ist bekanntermassen keine einfache Sache. Viele motivierte und qualifizierte Assistenzärzt:innen müssen sich trotz vieler Anstrengungen gezwungenermassen für eine andere Fachrichtung entscheiden. Ausserdem fragen wir uns: «Was braucht es für eine gute Weiterbildung?»
Diese Themen beschäftigen uns, die Swiss Young Dermatologists (SYD). Denn unter uns befinden sich einige, welche auf eine Weiterbildungsstelle an einer A-Klinik hoffen und warten. Die folgenden Seiten möchten unterschiedliche Meinungen zum Thema Weiterbildung abbilden. Wir haben hierfür mehrere Assistenzärzt:innen, Dr. T. Plaza (Plaza Kliniken) und Prof. Th. Kündig (USZ) interviewt.
Interviews mit Assistenzärzt:innen
(Dr. med. Rahel Bianchi)
Wir haben zur Thematik Interviews mit Assistenzärzt:innen unterschiedlicher Regionen und unterschiedlichen Werdegängen geführt. Alle Befragten sind derzeit in Praxen tätig. Als besondere Schwierigkeit wird in erster Linie die Tatsache empfunden, dass es viele Bewerber:innen, aber nur wenige Stellen gibt. So ist der Wunsch der Assistenzärzt:innen eindeutig: «Es braucht mehr Ausbildungsstellen!». Auch die Vergabe der jeweiligen Stellen wird von den Assistenzärzt:innen als wenig transparent empfunden. Auf Nachfrage wurden, für die Möglichkeit einer Bewerbung, häufig nur reguläre Bewerbungsrunden weit in der Zukunft genannt. Auch die Anstellungskriterien sind laut Assistenzärzt:innen von Klinik zu Klinik variabel. Hier wünschen sich die Assistenzärzt:innen eine einheitliche Regelung, der Vorqualifikationen, welche für die Anstellung an einem A-Spital erforderlich sind. Es besteht ausserdem der Wunsch nach Stellenausschreibungen, auch wenn Stellen kurzfristig besetzt werden müssen, um ein transparenteres System zu schaffen. Ganz generell sehen die Befragten die Lösung im Stellenausbau an den A-Spitälern und/oder der Verkürzung der obligatorischen A-Zeit von 3 auf 1-2 Jahre. Dies auch vor dem in den Interviews mehrfach genannten Hintergrund weiterhin eine ausreichende dermatologische Versorgung der Bevölkerung in der gesamten Schweiz sicherstellen zu können: «Wartefristen betragen für neue Patient:innen sowohl in der Klinik wie auch in der Praxis bis zu 6 Monate». Eine Ausbildung, die ausschliesslich in der Praxis stattfindet, wie dies z.B. in Deutschland möglich ist, kommt aber für alle Befragten nicht in Frage. Assistenzärzt:innen sehen die Ausbildung in einem A-Spital als wesentlichen Bestandteil der Weiterbildung: «Um vielseitig zu sein und um vor dem FMH-Titel in allen Bereichen der Dermatologie gearbeitet zu haben.» Eine weitere Hürde ist die fehlende Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Nur selten gibt es die Möglichkeit für Teilzeitarbeit sowohl bei Assistenzärztinnen wie auch bei Assistenzärzten. Dies wiederum schränkt die Möglichkeiten, die Facharztausbildung abzuschliessen zusätzlich ein. Es wird auch bemängelt, dass häufig Vorerfahrung (z.B. in Innerer Medizin oder Chirurgie) verlangt wird, dies aber im Facharztcurriculum nicht abgebildet und somit auch nicht z.B. im Sinne eines Fremdjahres angerechnet werden kann. Durch die lange Wartezeit auf eine Anstellung in der Dermatologie sind die Assistenzärzt:innen häufig deutlich näher an einem alternativen Facharzttitel oder haben einen solchen sogar bereits abgeschlossen. «Dies ist oft frustrierend», ist der generelle Tenor. Niemand unter den Befragten würde jedoch einen anderen Facharzt, dem der Dermatologie und Venerologie vorziehen. «Ich bin überzeugt in der richtigen Fachrichtung angekommen zu sein», gibt eine der Befragten an. Eine Ausbildung z.B. in Deutschland mit Erwerb des deutschen Facharztes könnten sich aber einige durchaus vorstellen: «Ich lasse mich vom Facharzttitel Dermatologie und Venerologie nicht mehr abhalten», sagt ein:e Assistenzärzt:in auf die Frage, ob eine Ausbildung im Ausland vorstellbar ist: «Nachdem ich schon mehrere Jahre warten musste und den Facharzt abschliessen möchte, gehe ich eben ein Jahr ins Ausland.»
Interview mit Dr. Tobias Plaza, Plaza Kliniken
(Dr. med. Barbara Erni)
Dr. med. Barbara Erni (BE): Es ist allgemein bekannt, dass es eine Herausforderung darstellt, eine Weiterbildungsstelle in der Dermatologie zu bekommen. Die A-Kliniken gelten oft als «Nadelöhr». Welche Möglichkeiten siehst du, dieses Problem anzugehen?
Tobias Plaza (TP): Ich glaube, man muss die Weiterbildung grundsätzlich anders planen. Die Struktur der dermatologischen Versorgung in der Schweiz hat sich in den letzten Jahren deutlich verändert und die Gesundheitspolitik droht mit regulatorischen Massnahmen, denen wir durch eine gute Planung der Weiterbildungsstellen entgegenwirken können.
BE: Wie könnte dies konkret erfolgen?
TP: Wir sollten mit der Fachgesellschaft die Kommission für Bildung und Forschung damit beauftragen, die dermatologische Weiterbildung schweizweit anhand einer Bedarfsplanung aufgrund der aktuellen Versorgungssituation mit der standespolitischen Kommission gemeinsam zu organisieren. Erst wenn wir wissen, wie viele Fachärzte wir effektiv ohne Mengenausweitung in den nächsten 5-10 Jahren beispielsweise durch Pensionierungen in den Praxen und Kliniken brauchen, können wir konkret die passenden Weiterbildungsstellen in Praxen und Kliniken schaffen, die es braucht.
BE: Wie denkst du, könnten Spitäler und Praxen für eine gelungene Weiterbildung zusammenarbeiten?
TP: Es sollte eine verlässliche Rotation zwischen Spitälern und Praxen stattfinden, die anhand der genannten Bedarfsplanung von der Bildungskommission, bestehend aus Klinikern, Praktikern und Vertretern der SYD mitorganisiert wird. Damit stünde den A-Spitälern ein deutlich grösserer Stellenpool für die Weiterbildung zur Verfügung, den sie mit Assistenzärzten besetzen könnten, die dann zeitweise in der Praxis oder in öffentlichen Spitälern eingeteilt wären. Aktuell ist es bereits so, dass die A-Kliniken die Zahl der Weiterbildungsassistenten deutlich ausbauen. So ist die Zahl in Basel am USB beispielsweise von 2020 im Weiterbildungskonzept bei 10 Weiterbildungsstellen gelegen, 2022 waren es gemäss SIWF-Statistik bereits 14 Weiterbildungsassistenten und 2023 findet man auf der Website der Dermatologie bereits 23 Assistenzärzte in der dortigen Dermatologie (Anmerkung der Redaktion, Stand 2023: Insgesamt 20; 15 Vollzeit und 5 Teilzeit). Wäre der Bedarf gemäss Planung hoch genug und hätte man beispielweise 4 C-Praxen mit je 2-3 Stellen im Netzwerk, könnten insgesamt 10 zusätzliche Assistenzärzte über das USB ausgewählt werden und in den C-Praxen für 1-2 Jahre rotieren. Damit wären 33 statt 23 junge Kollegen in der Situation, dass ihre Weiterbildung gut geplant im Land sichergestellt wäre. Unklar ist für mich, warum gemäss SIWF-Statistik 50% der Assistenzärzte beispielsweis am USB ein EU-Arztdiplom haben und kein Schweizerisches Arztdiplom, obwohl die Nachfrage an dermatologischen Weiterbildungsstellen unter Schweizerischen Medizin-Absolventen so hoch ist. Ein grösserer Anteil Schweizer Assistenzärzte in den A-Kliniken würde das »Nadelöhr A-Klinik» zusätzlich ausweiten. Ich bin fest davon überzeugt, dass man die Planung der Weiterbildung und Rotation mit Hilfe der SGDV sehr viel besser organisieren könnte und wir müssen das im Vorstand zeitnah thematisieren und anstreben.
Wenn wir eine vernünftige Bedarfsplanung machen möchten, ist natürlich auch zu berücksichtigen, dass wir in unserem Fachgebiet einerseits einen sehr hohen Frauenanteil haben, der oft aus familiären Gründen später in Teilzeit arbeitet und zum anderen auch die jungen Kollegen öfter nur Teilzeit arbeiten möchten, um eine gute Work-Life-Balance zu haben. Noch dazu gibt es doch einige Kollegen in der Praxis, die zu 20-30 Prozent ästhetische Leistungen anbieten, und damit in der Versorgungsplanung für die Dermatologie auch als Teilzeit-Fachärzte gelten. Eine hohe Zahl an Weiterbildungsstellen kann also trügerisch sein, wenn ein Grossteil der Fachärzte dann später zumindest zeitweise nur 50% in der dermatologischen Grundversorgung arbeitet. Berücksichtigt man diesen Umstand, gibt es wahrscheinlich nicht nur zu wenige A-Stellen, sondern auch deutlich zu wenige C- und D-Stellen in den Praxen.
BE: Was hältst du von der Idee eines «Pyramidensystems», bei dem die Dermatologie-Weiterbildung in einer C- oder D-Klinik beginnt und sich dann in einer A- oder B-Klinik fortsetzt?
TP: Wie bereits vorab gesagt, halte ich einen Pflichtteil der Ausbildung von 2 Jahren in der Praxis für sehr sinnvoll und begrüssenswert. In den Beneluxstaaten wird das meines Wissens so gehandhabt. Gemäss SIWF kommen auf etwa 600'000 ambulante Konsultationen in allen Weiterbildungsstätten gerade mal 2500 stationäre Behandlungen. Die ambulante Dermatologie steht in der Weiterbildung daher sicher im Vordergrund. Knapp die Hälfte aller ambulanten Konsultationen erfolgen in den privaten C- und D-Praxen und an den meisten Orten unterscheidet sich das Spektrum nicht von den öffentlichen B- und C-Kliniken, so dass die Qualität der Ausbildung gleichzusetzen ist. Aktuell ist der Klinikteil Pflicht, sodass jeder Dermatologe weiss, was die Arbeit im Spital bedeutet.Die Fachärzte, die sich für eine reine Spitalkarriere entschieden haben, stellen sich das Arbeiten in der privaten Praxis aber oft realitätsfremd vor – daher würde ein Pflichtteil in der Praxis sicher das gegenseitige Verständnis fördern und von den oben genannten Weiterbildungsinhalten, die man in der Praxis, nicht jedoch in der Klinik lernt, würden alle Fachärzte im Rahmen ihrer Ausbildung nur profitieren. Ich denke, dass sich eine allfällig für die Weiterbildung verantwortliche Kommission der Fachgesellschaft auch mit dieser Frage auseinandersetzen muss.
Interview mit Prof Thomas Kündig, Chefarzt Universitätsklinik Zürich
(Dr. med. Natalie Anasiewicz)
Dr. med. Natalie Anasiewicz (NA): Wie viele Kandidaten bewerben sich pro Jahr für eine Weiterbildungsstelle in der Dermatologie am USZ?
Thomas Kündig: ca. 300 Bewerbungen pro Jahr. Davon werden ca. 70 pro Jahr für ein Vorstellungsgespräch eingeladen. Wir können ca. 10-12 Ausbildungsplätze pro Jahr anbieten. Insgesamt umfasst unsere Klinik 35 Assistenzarztstellen.
NA: Gibt es einen Schlüssel, wie hoch der Bedarf an Dermatolog;innen in der Gesamtschweiz in Zukunft sein wird, um frühzeitig genügend Dermatolog:innen in der Schweiz auszubilden?
TK: Meines Wissens gibt es so eine Berechnung nicht.
NA: Was spricht für die Beibehaltung einer 3-jährigen Pflichtweiterbildung an einem A-Spital und was würde gegen die Reduktion auf 1 oder 2 Jahre sprechen?
TK: Die Ausbildung an einem A-Spital ist breiter und besser betreut. Die Assistenzärzte betreuen die Patienten nicht im Alleingang, sondern können sich an einen Oberarzt oder Oberärztin wenden, der oder die in der Zeit selbst keine Sprechstunde hat, sondern die Assistenzärzte supervidiert. Dies ist in einer Praxis nicht gegeben. Dort müssen die Assistenzärzte häufig allein den Alltag bewältigen. Es besteht ein grösserer finanzieller Druck und die Praxen stellen gerne Assistenzärzte ein, da sie viel günstiger sind als ein Facharzt, aber die Weiterbildung kann dadurch leiden.
NA: Sehen Sie eine Benachteiligung der dermatologischen Facharztanwärter:innen in der Schweiz im Vergleich zu den ausländischen Kolleg:innen, die keine vorgeschriebene Zeit an einem universitären Spital oder Kantonsspital verbringen müssen, in der Schweiz aber 1:1 den Facharzt anerkannt bekommen?
TK: Ja, das ist sicherlich eine Benachteiligung und ein qualitativer Unterschied in der Ausbildung. Mit Einführung der neuen Regelung, dass man nur noch Ärzte einstellen kann, welche vorher 3 Jahre an einer Schweizer Weiterbildungsstätte gearbeitet haben, ist dem aber teilweise ein Riegel vorgeschoben worden.
NA: Wie kann man damit umgehen, dass Facharztanwärter:innen an anerkannten Weiterbildungsstätten (Kategorie C oder D) ihre Ausbildung beginnen und anschliessend wegen fehlender Stellen im A-Spital nicht beenden können?
TK: Dies ist ein grosses Problem. Den Assistenzärzten wird versprochen, dass sie anschliessend eine Stelle in einem A Spital bekommen würden, was aber häufig nicht der Fall ist, da wir sehr viele Bewerber haben. So werden sie im falschen Glauben an Beziehungen zum A-Spital hingehalten. Das ist nicht fair. Eine Möglichkeit wäre es Bewerber gemeinsam auszusuchen, welche sich auch anschliessend für die Arbeit an einem A -Spital eignen. Generell gibt es zu viele Weiterbildungsstätten der Kategorie C, deren Interesse es zu sein scheint, günstig Ärzte einstellen zu können, aber ohne Aussicht auf ein Weiterkommen. Daher sollten die Anforderungen der Weiterbildungsstätte grundlegend überarbeitet werden.
*Interview paraphrasiert, da nicht aufgenommen
Umfragen
Zwei anonyme Umfragen unter den Mitgliedern der SYD ergaben ein recht ausgewogenes Meinungsbild. In den freien Kommentaren äusserten sich einige Teilnehmer:innen ablehnend gegenüber zusätzlicher Vorschriften in der Weiterbildungsordnung.
1. Was halten Sie davon, die FMH-Ausbildung so umzugestalten, dass die ersten 1-2 Jahre in einem Spital/einer Privatpraxis der Kategorie B, C oder D absolviert werden müssen (vor dem Abschluss in einer A-Klinik)?
Anzahl Teilnehmer:innen: 34
2. Wenn Sie einen Teil Ihrer Ausbildung in der Praxis absolvieren möchten: Würden Sie es vorziehen, dies am Anfang oder am Ende der Ausbildung zu tun?
Anzahl Teilnehmer:innen: 20
Autorinnen
Swiss Young Dermatologists (SYD)
Dr. med. Natalie Anasiewicz
Dr. med. Rahel Bianchi
Dr. med. Barbara Erni