Krankenversicherern Macht für mehr Planung und Zulassung geben?
Im nationalen Parlament wird derzeit eine mögliche Änderung des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) behandelt, die es in sich hat. Sollte das Parlament dieser Forderung nachkommen, könnten Krankenversicherer künftig individuell entscheiden, welche ärztlichen Leistungen sie noch vergüten wollen – und welche nicht. Die Motion von Ständerat Peter Hegglin wurde bereits vom Ständerat angenommen. Als nächstes wird der Nationalrat entscheiden, ob auch er den Vertragszwang lockern möchte.
Die Motion von Ständerat Peter Hegglin (23.4088 «Lockerung des Vertragszwangs im KVG») fordert den Bundesrat auf, das Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG) so anzupassen, dass der sogenannte Kontrahierungszwang (Vertragszwang) im ambulanten und im stationären Bereich gelockert wird. Konkret regt Ständerat Hegglin an, dort, wo eine Überversorgung bestehe, den Vertragszwang zu lockern. Der Motionär erhofft sich davon, dass «dadurch wettbewerbliche Anreize gestärkt werden, dort zu praktizieren, wo die Versorgung die Höchstzahlen nicht überschreitet».
Wichtigstes Ziel: Sparen, sparen …
Die Absicht dahinter, diese weitreichende Gesetzesänderung wieder ins Spiel zu bringen: Die Lockerung des Vertragszwang soll helfen, im Gesundheitswesen massiv zu sparen, denn, sie sei «ein griffiges Instrument gegen die Mengen- und Kostenexplosion».
Wichtig zu wissen: Das Parlament beschäftigt sich nicht zum ersten Mal mit dieser Idee. Es hat jedoch erst 2019 explizit davon abgesehen, den Vertragszwang zu lockern. Dies aus einem klaren Grund: Die Lockerung des Vertragszwangs hätte damals eine Alternative zu einem ebenfalls scharfen Instrument dargestellt. Das Parlament hat dann entschieden, statt den Vertragszwang zu lockern solle ein nationaler Zulassungsstopp verhängt werden, welcher nun schweizweit gilt. Damals stimmte das Parlament überein, dass es neben dem starken Steuerungsinstrument des Zulassungsstopps und der geltenden Spitalplanung kaum verantwortbar wäre, auch noch den Vertragszwang aufzuheben.
Seit 2019 wälzt das Parlament bereits das zweite Kostensenkungspaket, welches der Bundesrat auf Empfehlung eines Expertengremiums zusammengestellt und dem Parlament unterbreitet hatte. Bereits das erste Kostensenkungspaket wurde vom Parlament letztlich stark abgespeckt, und auch das zweite Paket wurde bereits stark entschärft. So wird beispielsweise darauf verzichtet, den Zugang zu Spezialärztinnen und Spezialärzten mit einer sogenannten Erstberatungsstelle zu verschlechtern.
«Ungerechtfertigte Mengen- und Kostenausweitung» verhindern
Jede jährliche Ankündigung steigender Krankenversicherungsprämien und die wegen der Alterung und der besser werdenden medizinischen Versorgung steigenden Kosten treibt jedoch den Sparwillen des Parlamentes neu an. Man wolle, schrieb denn auch die vorberatende Gesundheitskommission des Ständerates, «die ungerechtfertigte Mengen- und Kostenausweitung im Gesundheitswesen eindämmen». Es gehe nicht mehr an, «dass Leistungserbringer, sobald sie zugelassen sind, praktisch unbeschränkt abrechnen können». Dies berge Anreize, auch unnötige Leistungen zu erbringen, was zu einer Ausweitung der Menge und in der Konsequenz der Kosten führe. So beantragte die Kommission, es sei nun dafür zu sorgen, «dass es Krankenkassen ermöglicht wird, nur mit einem Teil der Leistungserbringer Verträge abzuschliessen und dabei diejenigen auszuwählen, welche die Anforderungen in Bezug auf die Qualität und Wirtschaftlichkeit der Leistungen am besten erfüllen».
Der Ständerat hatte dem Vorhaben mit 30 zu 12 Stimmen in der Herbstsession 2024 deutlich zugestimmt. Wenn demnächst auch die vorberatende Kommission des Nationalrates dem Begehren folgt, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der Nationalrat als zweite Kammer der Lockerung des Vertragszwangs ebenfalls zustimmen wird.
Was wären die Folgen?
Mutmasslich würde die Lockerung des Vertragszwangs das effektive Ziel, möglichst viel zu sparen, wohl verfehlen. Vor allem aber hätte eine Lockerung gerade im Bereich der Qualität kontraproduktive Wirkung und würde damit die medizinische Versorgung der Schweiz tendenziell verschlechtern.
Richtigerweise stellt sich auch der Bundesrat gegen das Vorhaben: Er hat angekündigt, in einem Bericht Möglichkeiten darzulegen, wie eine Kombination der Zulassung von Leistungserbringern, die in die Zuständigkeit der Kantone fällt, und der Lockerung des Vertragszwangs ausgestaltet werden könnte. Das Parlament täte gut daran, diesen Bericht abzuwarten, bevor es einen fait accompli schafft und die Regierung beauftragt, das KVG entsprechend zu ändern.
Denn eine Lockerung des Vertragszwangs hätte weitreichende Folgen: Wenn Krankenkassen verstärkt über Zulassungen entscheiden können und dabei auf die Kosten achten, dann dürfte dies unweigerlich zu einem Qualitätsverlust führen und gerade auch Leistungserbringer im Bereich der Dermatologie empfindlich treffen. Allein den Zugang von Patientinnen und Patienten zu erschweren, die möglicherweise dringend auf eine Hautkrebsvorsorge-Untersuchung angewiesen sind, würde sich mittelfristig fatal auswirken, da nicht oder zu spät erkannte Krebserkrankungen neben viel Leid ebenfalls noch höhere Kosten verursachen.
Und: Es war die Minderheit der vorberatenden Kommission selbst, die einwandte, man müsse hier auch darauf schauen, die Macht der Krankenversicherer nicht zu stark auszuweiten. Denn, es bestehe die Gefahr, «dass die Krankenkassen die Vertragsfreiheit in der Grundversicherung nutzen könnten, um ergänzende, rentable Angebote in der Zusatzversicherung zu schaffen».
Damit ist klar: Die Lockerung des Vertragszwanges würde auch die Zweiklassengesellschaft vorantreiben. Wer es sich leisten kann, würde dann noch eine Zusatzversicherung abschliessen, um sicher zur erforderlichen Behandlung zu kommen. Die anderen hätten das Nachsehen.