Gehälter der Ärzte, Kosten der Gesundheitsversorgung und... Statistiken
Von 1995 bis 2022 stieg die Bevölkerung der Schweiz von 7,041 Millionen (Mill.) auf 8,776 Mill. (+19,77%) Einwohner. Unser ebenfalls zahlenmässig vergleichbares benachbartes Österreich verzeichnete einen positiven Saldo von 1,094 Mill. (+12,10%) und stieg von 7,948 Mill. auf 9,042 Mill.. Die Alterspyramide der Schweizer Bevölkerung hat sich jedoch im letzten Jahrhundert verändert: von einem fichtenähnlichen Baum (1900) zu einem eher breitblättrigen Baum mit leichten Engpässen aufgrund der beiden Weltkriege (1950) und schliesslich zu einer profilähnlichen Form dank den Babyboomern, die in ihr sechstes Lebensjahrzehnt eingetreten sind (2022) (Abb. 1).
In den letzten dreissig Jahren sind die Lebenshaltungskosten im Allgemeinen stark gestiegen. Der Vergleich des BIP (Bruttoinlandsprodukts) mit anderen europäischen Ländern, insbesondere mit den vier Nachbarländern, auf der Grundlage von Preisniveauindizes fällt eindeutig zu Ungunsten der Schweiz aus: Wir bleiben das Land mit den teuersten Preisen in Europa und das teuerste Land bei allen Konsumarten im Vergleich zu den vier Nachbarländern (Abb. 2). Das Schweizer BIP war seit 1995 immer positiv, mit Ausnahme von 2002 (-0,1%) aufgrund der Dot-Com-Blase, 2009 (-2,3%) aufgrund der schweren weltweiten Rezession (Spätfolge der Subprime-Krise?) und 2020 (-2,1%) aufgrund der COVID-19-Pandemie. Danach stieg das BIP wieder auf +5,4% im Jahr 2021 und +2,6% im Jahr 2022, wobei es bisher keine Anzeichen für einen Abschwung gibt.
Im gewichteten Standardwarenkorb des HVPI (Harmonisierter Verbraucherpreisindex) liegen die Gesundheitskosten 2024 prozentual an zweiter Stelle nach den Wohnen und Energie Kosten (Abb. 3). Die Korrektur der Gesundheitskosten nach unten war in den letzten 30 Jahren das ständige Ziel der Gesundheitspolitik und zwang die Schweizer Ärzteschaft zu einem ständigen Kampf um eine korrekte finanzielle Vergütung ihrer Arbeit. Die Krankenkassen, die Regierung, ein Teil der Politik und die Presse haben die medizinischen Leistungen für den Anstieg der Gesundheitsausgaben verantwortlich gemacht und dabei mehr oder weniger geflissentlich vergessen, dass neue diagnostische Möglichkeiten und neue, hochwirksame, aber auch sehr teure Medikamente zu einem starken Anstieg der Gesundheitsausgaben geführt haben. Der intellektuelle medizinische Akt, der immer im Mittelpunkt jeder Diskussion am Verhandlungstisch steht, ist für den Dermatologen jedoch mehr oder weniger derselbe Preis geblieben wie in den 1990er Jahren.
Am Sonntag, 21. April 2024, las ich den Artikel «Gesundheitskosten in der Schweiz - Millionengehälter von Ärzten belasten das Gesundheitssystem», der in der Sonntagszeitung erschien und sich gegen die Löhne von Chef- und Leitenden Ärzten in Universitäts- und Kantonsspitälern richtet. Es ist nicht das erste Mal, dass eine Zeitung über die «Millionärsgehälter» einiger Ärzte berichtet; in anderen Fällen wurden sogar Name, Nachname und Fachgebiet genannt. Der Artikel beginnt mit einem Angriff auf die Gehälter von Chefärzten, von denen die meisten übrigens ein Gehalt beziehen, das weit unter dem liegt, was im Titel des Artikels steht. Dann wiederholen sie, was schon früher von anderen Journalisten geschrieben wurde, dass auch die Einkommen von Ärzten, insbesondere von Fachärzten, mit Privatpraxis, abzüglich aller Spesen und der AHV, zu hoch sind. Schliesslich, und das ist das erste Mal, dass sie die Verwaltungsdirektoren der Spitäler für ihre CEO-Saläre «abkanzeln». Ich werde diesen Artikel nicht kommentieren, der eine Gesundheitspolitiklinie unterstützt, die glaubt, das Problem der Gesundheitskosten durch die Kürzung der Einkommen der Ärzte lösen zu können: «Den Splitter in fremden Augen, aber nicht den Balken im eigenen sehen! » Aber ich werde dies als Ausgangspunkt für einige Überlegungen nehmen.
Im Artikel der Sonntagszeitung werden in einer begleitenden Grafik (Abb. 4) die verschiedenen Kosten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung 2022 in Prozenten aufgeteilt, die sich auf insgesamt CHF 37,7 Milliarden (Mia) belaufen. Dabei ist zu beachten, dass die Patienten mit einer bedeutenden Kostenbeteiligung (u.a. Franchise) von 5,1 Mia Franken zu dieser Zahl selbst beitragen. Die Kosten für die stationäre und ambulante Krankenhausversorgung machen 33% aus, die ambulante ärztliche Versorgung 23%, Arzneimittel 22%, 17% sind sonstige Dienstleistungen und 5% Pflegeheime.
Eine weitere Grafik (Abb. 5), die ich auf der Website der Bundesstatistik gefunden habe, fasst die Gesamtkosten des Gesundheitssystems nach Leistungserbringern 2022 zusammen: sie betragen 91.481 Mia CHF. Auf Krankenhäuser entfielen 35,67 % der Kosten, auf sozialmedizinische Instituten 15,83%, auf Arztpraxen 14,92% und auf sonstige ambulante Leistungserbringer 7,80%. Die Grafik zeigt auch die Kostenzahlen für die Jahre 2017 und 2021. Der grösste prozentuale Anstieg von 2017 bis 2022 ist bei den sonstigen ambulanten Dienstleistern mit 20,97% zu verzeichnen, gefolgt von Arztpraxen mit 14,40 %, Krankenhäusern mit 11,41% und sozialmedizinischen Instituten mit 8,67%.
Vergleicht man die 2022 Kosten der ersten (obligatorischen Krankenpflegeversicherung) mit der zweiten (Kosten des Gesundheitssystems nach Leistungserbringern) Statistik, so zeigt sich bei den Krankenhäusern ein leichter prozentualer Unterschied von 33% zu 35,67%. Während bei den Arztpraxen, wenn man die zwei Grafiken vergleicht, ein deutlicher Rückgang des prozentualen Anteils der obligatorischen Krankenpflegeversicherung von 23% zu 14,92% der generierten Gesamtkosten (zu beobachten ist, im Gegensatz zu den sozialmedizinischen Instituten, wo ein deutlicher Anstieg von 5% nur für Pflegeheime der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu 15,83% der generierten Gesamtkosten aller medizinisch-soziale Institutionen) zu verzeichnen ist. Damit bestätigt sich, was die FMH schon öfter festgestellt hat: Ambulante Arztpraxen tragen nicht wesentlich zu den Gesamtkosten des Schweizer Gesundheitswesens bei. Neben den notwendigen Spitälern spielen aber auch andere Einrichtungen wie die medizinisch-sozialen Institutionen eine grössere Rolle bei den Gesundheitskosten.
Betrachtet man in Abb. 5 die prozentualen Kostensteigerungen zwischen dem Jahr 2017 und dem Jahr 2022, so ist der grösste Anstieg bei den sonstigen ambulanten Leistungserbringern (20,97%) und den Arztpraxen (14,40%) zu verzeichnen, während er bei den Krankenhäusern bei 11,41% und bei den sozialmedizinischen Einrichtungen bei 8,67 % liegt. Meiner Meinung nach hängt der Grund für diese Unterschiede einerseits vom Anstieg der Anzahl niedergelassenen Ärzte (die totale erteilte Berufsausübungsbewilligungen im 2017 waren 30‘737, während im 2022, 37‘082), anderseits mit der COVID-19-Pandemie zusammen. Während der Pandemie zog ein grosser Teil der Bevölkerung vor, keine Krankenhäuser aufzusuchen, sondern zog ambulante Dienste vor; Einweisungen in Krankenhäuser und sozialmedizinische Institutionen waren nur auf Notfälle oder unbedingt notwendige Fälle beschränkt. Es ist offensichtlich, dass ein Anstieg der Anzahl niedergelassenen Ärzte zu einem Kostenanstieg im ambulanten Bereich geführt hat. Allerdings ist dieser ja auch nötig, da die Bevölkerung wächst und älter wird und gleichzeitig eine (kostendämpfende) Verlagerung der Medizin in den ambulanten Bereich stattfindet. Gleichzeitig haben wir ja einen zunehmenden Ärztemangel v.a. mit der Pensionierung der Babyboomer Ärztegeneration. Darüber hinaus werden in Abb. 6 neben den obligatorischen medizinischen Leistungen weitere Kosten, die einen wesentlichen Anteil an den Gesamtkosten des Gesundheitswesens im Land haben, detailliert dargestellt.
Kann man die Kosten für das Gesundheitswesen in der Schweiz wirklich bremsen oder stoppen?
Meine persönliche Meinung:
- Die Alterspyramide der Schweizer Bevölkerung (Abb. 1) zeigt, dass selbst wenn die Ärzte ohne Einkommen arbeiten würden, würde dies in 10 Jahren unweigerlich zu einem Anstieg der Gesamtgesundheitskosten führen;
- Die Kosten für sozialmedizinische Instituten, einschliesslich Altenheimen, stellen die zweitgrösste Stelle der Gesundheitsausgaben dar (Abb. 5). Dazu wird wenig gesagt; es ist einfacher, mit dem Finger auf die Ärzte zu zeigen, aber mit einer Alterung der Bevölkerung werden diese Kosten in den kommenden Jahren weiter steigen;
- Von 2017 bis 2022 wuchs das BIP trotz des Einbruchs im Jahr 2020 um 11,3%, was mit dem Wachstum der Spitalkosten übereinstimmt. Der Anstieg der ambulanten Kosten (andere Leistungen und Arztpraxen) wurde z. T. durch den Rückgang bei den medizinisch-sozialen Instituten ausgeglichen (Abb. 5). Dieser Effekt ist auf den aussergewöhnlichen Zeitraum der Pandemie (2020-2022) zurückzuführen. Die Schweizer Gesundheitskosten wachsen parallel mit dem nationalen BIP;
- Wenn die Politiker eine wirkliche Senkung der Gesundheitskosten anstreben würden, müssten sie eine bestimmte Art der Versorgung einschränken. Gezielte Kürzungen bei bestimmten Gesundheitsdienstleistern werden nur einen Effekt wie «die kleinen Fische fangen und die grossen schwimmen lassen», haben. In der Tat haben wir heute in allen medizinischen Disziplinen aussergewöhnliche Medikamente, die die Lebensqualität unserer Patienten verändert haben. Im Jahr 2022 machten ihre Kosten 22% der Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung aus: 8.294 Mia (Abb. 4). Meine Psoriasis-Patienten, die mit biologischen Medikamenten behandelt werden, berichten mir, dass sie eine Lebensqualität haben, die früher unvorstellbar war. Viele Patienten mit metastasierendem Melanom leben mit einer Lebensqualität, während sie früher einen schlimmen Tod starben. All diese Fortschritte haben ihren Preis, den wir in die Waagschale werfen müssen. Wir als Ärzte können dem Patienten nur Leben und Lebensqualität bieten.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine Kürzung der Ärztegehälter das Problem der Gesundheitskosten nicht lösen wird, sondern nur ein sehr kleines Pflaster wäre, welches nur sehr kurz hält. Die Regierung und das Parlament müssen die Überalterung der Bevölkerung und die globale Entwicklung der Lebenshaltungskosten berücksichtigen, mit denen auch die Gesundheitskosten verbunden sind. Darüber hinaus haben Fortschritt und Forschung neue Diagnoseinstrumente und wirksame, leistungsstarke Medikamente hervorgebracht, die unvermeidlich zu einem Anstieg der Gesundheitskosten aber auch zu einer verbesserten Lebensqualität und wirtschaftlichen Leistungssteigerung der Bevölkerung führen. Die politischen Institutionen müssen sich entscheiden: weiterhin das Beste für alle zu bieten und dabei Kosten zu verursachen, die in jedem Fall parallel zum nationalen BIP wachsen, oder eine bestimmte Art von Dienstleistung auf einen Teil der Bevölkerung zu beschränken.
Fortsetzung folgt…